das Gespräch beginnt

25.04.2023 12:25
avatar  Esther
#1
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Hallo Ihr Lieben,
die recht trockenen Versuche, uns die Worte aus Bubers "Ich und Du" zu erschließen, möchte ich mit einer kleinen Anekdote aus Bubers "Chassidischen Erzählungen" (Seite 194) auflockern. Dort sagt der legendäre Baal-Schem-Tow zu einem Gelehrten mit hohem Scharfsinn: "Die Deutung, die du sagtest, ist richtig. Aber du hast kein Wissen; denn dein Wissen hat keine Seele."

Wie bekommt das Wissen, dass wir uns im Gespräch zu erarbeiten versuchten, Seele? Wie bekommt es lebendigen Atem?

Gestern haben wir versucht zu verstehen, was lebendig wirkender Geist bedeutet und wie der Zusammenhang zum Sprechen ist. Dazu noch eine kleine Anregung aus Bubers "Chassidischen Erzählungen"(vgl. S. 143): Um recht Sprechen zu können, muss man die Quelle und das Wesen des Sprechens (er-)kennen lernen.

Was ist die Quelle und das Wesen des Sprechens? Wie lernen wir es kennen?

Machen wir uns gemeinsam auf den Weg wahrhaften Miteinandersprechens. Ich bin auf Eure Antworten gespannt.

Seit herzliche gegrüßt
Eure Esther


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26.04.2023 21:23
avatar  Peter
#2
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Liebe Esther,
eine schwierige Frage, aber sehr zentral, in der Tat. Ich würde versuchsweise antworten: wenn ich spreche, äußere ich mich, d.h. ich gehe ins Außen, zum Anderen hin, versuche, dem Gefängnis oder, vielleicht etwas weniger drastisch formuliert, den Beschränkungen meines Ich zu entkommen, indem ich meine Vorbehalte aufgebe, meine Vorurteile überwinde, meine gewohnten Verhaltensmuster wenigstens zeitweise beiseitelasse. Wenn ich dann so spreche, bin ich aber nicht automatisch im erleuchteten Zustand. "Geist ist Wort", so Buber zwar mit Emphase (S.41), woraufhin er aber ein paar Sätze später sogleich ergänzt: "Nur das Schweigen zum Du (...) läßt das Du frei (...) Alle Antwort bindet das Du in die Eswelt ein." Das verstehe ich so, dass selbst wenn ein Anderer im gleichen Geist, also ohne Vorbehalte, antwortet, also ein Gespräch entsteht - so vielleicht wie unseres - , muss dennoch der "Geist von oben" dazukommen, also das, was wir in unserem Gespräch am Montag als die vertikale Ebene bezeichnet haben, die zu der horizontalen (zwischen uns) hinzutritt. Ob das gelingt, hängt nicht nur von uns ab, kann aber durch unser Sich-Öffnen und unsere Anstrengung (der Kampf mit den eigenen Beschränkungen ist ja durchaus etwas Anstrengendes) deutlich befördert werden. Und sich auch im gemeinsamen Schweigen ereignen, das auf das Umkreisende aller sprachlichen Versuche, sich anzunähern, sich mitzuteilen, sich zu berühren, verzichten kann. So in etwa verstehe ich das.
Ganz herzliche Grüße an alle,
Peter


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28.04.2023 13:31
avatar  Gaby
#3
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Nur ein paar Gedanken, keine fertige Antwort - eher eine Bestaetigung von dem was Peter gesagt hat:
- Echte lebendige Kommunikation heisst vielleicht : mit dem „Wesen“ sprechen / in Beziehung sein/ gegenwaertig sein > „das stets eine Bejahung des angesprochenen Wesens einschliesst“ S.22 (meine Ausgabe)
- Bsp. Hass (S.22): „Dass dem Menschen widerfaehrt, zu seinem menschlichen Gegenueber das Grundwort, …, nicht sprechen zu koennen, entweder den andern oder sich selbst ablehnen zu muessen: das ist die Schranke, …“ fuer ein echtes in Beziehung sein und somit ein echtes Gespraech?!

- Sprache der „Primitiven“ (S. 24) „bezeichnen zumeist die Ganzheit einer Beziehung“. Buber sagt dann: „Es kommt nicht auf die Produkte der Zerlegung und Ueberlegung (mit meinen Worten ausgedrueckt: Es kommt nicht auf die Worte > Zerlegung oder gar den Inhalt > Ueberlegung) an, es kommt auf die … gelebte Beziehung an.“ (S.24)

- Worte mit dem Mund sprechen heisst nicht zwangslaeufig „wirklich“ sprechen
- echtes Verstehen passiert ohne Worte bzw. ueber Worte hinaus (im „Schweigen aller Zungen“ S. 45, wie Peter schon erwaehnt hat, dann „ist“ der Geist und der „Geist ist Wort“
- Bibel (Johannesevangelium?) : „Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ > d.h. fuer mich : Alles ist Wort, aber die Woerter, die wir sagen, das Sprechen wie wir es kennen ist die Verwirklichung/ das Konkret-/ Praktischwerden des urspruenglichen Wortes und die „Verbindung zur Eswelt“ (Buber, S. 45/46)
- Anektdote: Neulich wollte ich einer Bekannten etwas erklaeren, aber sie winkte ab mit den Worten: „ Das brauchst du nicht, ich spuere dich.“ Das klang fuer mich erst mal etwas komisch, aber auch irgendwie schoen.
Und auch was Peter meint mit: „Es kommt nicht nur auf uns an und unsere Bereitschaft sondern es muss noch etwas dazukommen“
- „…die wahre Gemeinde entsteht“ durch Gefuehle fuereinander einerseits UND den Bezug aller auf eine „lebendige Mitte“. (S.51)
- „aber der Baumeister ist die lebendig wirkende Mitte“ (s.o.)
Da kommt meine Frage ins Spiel: Ist der Geist (die Mitte) etwas selbstaendiges, bewusstes? Aktives? Nicht nur Vorhandenes? Und ist das Gelingen der Beziehung letztlich von ihm abhaengig? Wie ist das mit dem Schicksal?

Persoenlich geht es mir auch so, dass „Buber“ jetzt auch erst langsam fuer mich lebendiger wird. Je laenger ich die Worte und Gedanken mit mir herumtrage und hin-und herbewege, das sackt das ein oder andere doch vom Verstand ins Herz :-) (so als ab es vom Es zum Du ginge..)


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28.04.2023 17:17
avatar  Barbara ( Gast )
#4
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Barbara ( Gast )

Danke für Eure Impulse! Gestern habe ich ausführlicher auf deinen Beitrag, Peter, reagiert, doch aus irgendwelchen Gründen schlug die Technik fehl und nichts von dem, was ich geschrieben habe, war mehr da. Deshalb heute nur diese Probe, ob es überhaupt klappt...


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01.05.2023 17:34
#5
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Liebe Barbara, nur kurz: ich kann Deinen Betrag lesen. Du hast ihn also abgespeichert und so ist er sichtbar.

Ich habe jetzt Eure Beiträge gelesen... und spüre, dass Esthers Frage eine gute Möglichkeit ist, in Bubers Gedanken hineinzuwachsen. Ich spüre, dass dazu zunächst gehört, sich die Mühe zu machen, die Beiträge von Euch wirklich aufzunehmen, zu verstehen... um dann zu auf das zu reagieren, was Ihr zu sagen versucht. Es ist leicht, den anderen als Stichwortgeber zu nehmen, um das Eigene zu plazieren. Das wäre das Gegenteil von Gespräch! Als erstes will ich also lernen, Euch in Euren Gedanken zu verstehen. Das kostet Zeit, die ich aber jetzt nicht habe. Aber gelesen habe ich schon... und nun bin ich sehr gespannt, wie wir miteinander in ein Gespräch kommen.

Noch eins: Ihr könnt ein Portrait von Euch hochladen, das dann bei jedem Beitrag von Euch sichtbar wird....


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02.05.2023 11:13
avatar  Esther
#6
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Guten Morgen, Ihr Lieben

Ich danke Euch für Eure Antworten. Schade, liebe Barbara, dass Deine verloren gegangen ist. Magst Du es noch einmal versuchen? Ich wäre interessiert an dem, was Du zu sagen hast.

Gabi und Peter, Ihr habt beide Wesentliches ausgedrückt und ich spüre, dass es in Euch arbeitet und Ihr genau am buber'schen Kern seid, wenn das theoretische Verstehen vom Ich-Es-Modus zum lebendig-wirksamen Verstehen im Gegenwärtigsein von Ich-Du umschwingt (Gabi).
Und genau das ist Bubers Antwort auf das Grundverhältnis zur Es-Welt: Wir sollen wach in die Kunst des Schwingens zwischen beiden (DP-IuD 55) "hineinwachsen" (Ein passender Begriff, Stephan). Und genau das will uns Buber sagen: Dass es "Aktion und Passion" in einem ist (DP-IuD 15) und wir es, wie Du Peter, zu Recht bemerkst, mit unserer Übung, präsent und offen zu sein, "befördern" können.

Ihr beide (Peter und Gabi) habt den "Geist" mit dem "Schweigen" in Verbindung gebracht. Das ich das Gespräch in diesem Forum mit "das Gespräch beginnt" eröffnet habe, war nicht ohne Hintergedanken: Weil nämlich das "wahre Leben des Menschen im Geist", das rechte Antwortgeben auf die Fragen unserer Welt, notwendig das "Schweigen" braucht, weil in ihm wesentliches, wirkliches, lebendiges Sprechen seine Quelle hat, d.h. seinen Anfang nimmt. (Ja, in der Tat, Gabi, hier lässt sich eine Analogie zum Johannesprolog sehen. Es wäre interessant, diese Spur zu verfolgen, aber gerne ein anders Mal.)

Auch wenn Buber selbst nicht ausdrücklich von einer kontemplativen Praxis spricht, steckt für mich dennoch die ganze Intention der kontemplativen Übung darin:
In der kontemplativen Grundübung versuchen wir uns nämlich von aller Mittelbarkeit (Alle Mittel, Begrifflichkeit, Vorwegnahme usw. müssen verfallen, DP-IuD 15) zu befreien (entspricht der Gelassenheit bei Eckhart) und uns in die Unmittelbarkeit reiner Präsenz zu begeben, um dann, wie Buber (analog zu den Mystikern, z.B. Eckhart und Jakob Böhme) formuliert, (DP-IuD 42) im "ungeformten, ungeschiedenen, vorzunglichen Wort" zu verharren.
In "Verhaltenheit" darin stehen, heißt für mich, wach und "gegenwartend" im Geist verweilen, im Noch-Nicht, bis das, was zu sagen ist, mir aus dem Geheimnis selber erscheint, "es spricht uns aus dem Dunkel selber an", (DP-IuD 44) mich ergreift und sich in meiner Kehle und meinem Mund zur "Rede" formt: Meine Antwort an mein Du.

Wenn Buber sagt, dass in Wahrheit die Sprache gar nicht in uns steckt, sondern wir in der Sprache und aus ihr reden, dann bedeutet das mit anderen Worten: Unser Sprechen begegnet uns. Es ist ein Ereignis, ein Geschehen, das uns widerfährt. Es gibt sich uns, wird uns "Passion" und wir geben uns hin, "antworten mit dem Leben." (DP-IuD, 44)
Mich haut das um. Denn es steht im grassen Gegensatz zum ich-süchtigen Sprechen, wie es uns ständig begegnet und den echten Dialog verhindert.

Ich möchte jetzt nicht so verstanden sein, dass nun die abschließende Antwort auf meine Einstiegsfrage gegeben habe. Jetzt ist ja erst überhaupt nur die Grundlage beschrieben für unser konkretes und lebenspraktisches "wahres Leben im Geist". Das müssen wir beständig üben. Der Austausch darüber, wie theoretisches Verstehen und Lebenspraxis zusammenfinden, wäre Sinn und Zielsetzung des Forums.

Liebe Gabi,
Deine Frage nach dem "Geist" ist hiermit noch nicht hinreichend beantwortet. Sie ist aber so relevant, dass der Austausch nicht unter dem Thema "Das Gespräch beginnt" verschwinden sollte. Magst Du ein neues Thema eröffnen, etwa mit dem Titel "Wahres Leben im Geist" eröffnen und vielleicht noch näher auszuführen, was Dich zu Deiner Frage bewegt?

(Übrigens meint das Kürzel DP-IuD : Ich und Du in der Buchausgabe Dialogisches Prinzip, im Unterschied zu Ich und Du als Einzelausgabe, die Einige von uns benutzen)


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