Mana und der Tote

12.05.2023 10:25
avatar  Gaby
#1
avatar

Hallo Ihr Lieben,

mich beschaeftigt eigentlich noch immer ein Abschnitt, den wir bei der 2. Sitzung besprochen haben - „das Weltbild des Primitiven“. Es soll ja gezeigt werden, wie der Mensch am Du zum Ich wird…
Buber beschreibt dann ja als Beispiel, wie aus einem Beziehungserleben , etwa mit dem Mond, ein „Erregungsbild“ zurueckbleibt, aus dem sich dann allmaehlich ein „Personbild“ herauskristalisiert (IuD ohne DP, S. 25 ff).
Mich interessiert v.a. folgender Abschnitt:
„Die Grenzen seiner Welt zieht sein leibliches Erleben, zu dem etwa die Besuche der Toten voellig ‚natuerlich‘ gehoeren; Unsinnliches als Vorhanden anzunehmen muss ihm widersinnig duenken. Die Erscheinungen, denen er die ‚mystische Potenz‘ zuschreibt, sind alle elemtaren Beziehungsvorgaenge, also ueberhaupt alle Vorgaenge ueber die er sich Gedanken macht, weil sie seinen Leib erregen und eine Erregungsbild in ihm hinterlassen. Der Mond und der Tote, die ihn nachts mit Pein oder Wollust heimsuchen, haben jene Potenz…“ (S. 26)
„Mana ist eben das Wirkende, das, was die die Mondperson da drueben am Himmel zum blutbewegenden Du gemacht hat, und dessen Erinnerungsspur blieb, als aus dem Erregungsbild das Gegenstandsbild sich abloeste, wiewohl es selber nie anders als in dem Taeter und Traeger einer Wirkung erscheint; es ist das , womit man, wenn man es, etwa in einem wunderbaren Stein, besitzt, selber so wirken kann. Das ‚Weltbild‘ des Primitiven ist magisch, nicht weil die menschliche Zauberkraft in dessen Mitte stuende, sondern weil diese nur eine besondere Abart der allgmeinen ist, der alle wesentliche Wirkung entstammt.“ (S. 26)

Verstehe ich das richtig, dass aus allem was mich beschaeftigt (‚erregt‘) - Ergebnis aller Du Beziehungs-Erlebnisse - , sowohl physischer (Mond) als auch geistiger (Toter) Art ein Errgungsbild zurueckbleibt und das der ‚Primitive‘ beides gleichermassen fuer „real“ haelt und sich daraus seine Vorstellung einer „uebernatuerlichen Zauberkraft“ manifestiert - Mana - die „Glauben“ fuer Wahrheit = Wissenschaft haelt?
(Ich weiss, dass ich hier die Begriffe „Real, Glaube, Wahrheit, Wissenschaft“ etwas lose verwende. In der heutigen Zeit haelt die Gesellschaft ja meist nur das fuer real und wahr (!), was wissenschaftlich belegt ist.)
Mein Hintergrundinteresse ist eigentlich: Wie kann man eben solche „uebersinnlichen“ Erlebnisse oder auch nur „Glaube“ an etwas einordnen? Wenn alles gleichermassen eine Erregungsspur hinterlaesst, ist es dann nicht auch gleichermassen „real“ oder mindestens „wirklich“ (in unserem Leben wirkend), so dass wir eigentlich unser Bild vom „(esoterischen) Spinner“ oder der „Ach-das- ist-eh-nur-Phantsie“ ueber den Haufen werfen koennen? *
Wenn alles gleichwertig zu einer Erregung fuehrt und zu unserem Weltbild beitraegt, sind dann nicht Wissenschaft UND Glaube auch auf dem gleichen Niveau und gleichermassen wichtig? Und ist Mana dann wirklich nur eine „primitve Abstraktion“ (S. 26) wie Buber meint? Oder ist ebendies Wirkende nicht das was er spaeter als „Geist“ bezeichnet? Ist „Mana“ deswegen in seinen Augen eine primitive Abstraktion, weil sie zu sehr auf die Eswelt fokussiert und nicht das Beziehungsgeschehen mit dem Du einbezieht?

* Ist dann nicht letzlich alles, was wir (aus-)denken, fuehlen, meinen, sind - gleichermassen real? Haetten dann nicht beispielsweise „Leugner“ und „Befuerworter“ des Klimawandels beide recht? Oder „flache Erde“ vs. „runde Erde“ waere das nicht beides gleichermassen erlaubt? IST dann die Welt „wirklich so“, oder SEHE ich sie nur so, wie sie bei mir „Erregung“ hinterlassen hat? Und in der Fortfuehrung: Gibt es ueberhaupt eine „reale“ Welt , die diese oder jene Probleme hat, oder ist alles letzlich nur ein WeltBILD? Bin ich wirklich, oder bin ich nur ein „Spiel“ meines (?) Bewusstseins? Oder ist es das, was wir Realitaet nennen, aber im taeglichen und gesellschaftlichen Hin und Her nicht mehr vor Augen haben?

Ich hoffe, das war nicht zu verwirrend fuer Euch. Wenn ich ueber Buber nachdenke, dann sind meine Gedanken nicht immer so klar und logisch. Seine Sprache ist so vielschichtig und bedeutungsschwanger, dass ich nicht immer alles komplett erfassen kann

Liebe Gruesse!


 Antworten

 Beitrag melden
12.05.2023 13:50
avatar  Esther ( Gast )
#2
avatar
Esther ( Gast )

Nun, das ist wieder mal eine sehr komplexe und elementare Frage. Bevor Verwirrung entsteht, versuche ich eine Antwort, an der Ihr Euch alle dann gerne weiter reiben könnt.
Es geht Buber in dem erwähnten Text nicht um magische Vorstellung und nicht darum, diese für wahr zu halten oder so. (vgl. moderne Verschwörungsmythen) Das wäre ein Missverständnis.
Ich bin keine Mana-Expertin. Aber aus dem Text geht hervor, dass Buber Mana als die lebendig wirkende und treibende Kraft versteht, wie sie allem in der Welt innewohnt. Sie wohnt auch in uns in unterschiedlichen Ausfaltungen (DP-IuD 25) und zuinnerst als Beziehungsstreben (31).
„Die Schöpfung offenbart ihre Gestaltigkeit in der Begegnung.“ (DP-IuD 29) In unsere Welt und in allem was darinnen ist, liegt also jenes geheimnisvolle Potential auf uns zu wirken, uns aus dem Geheimnis zu ergreifen, anzusprechen, sich uns anzutun usw. und die Gedanken anzuregen (24) Ähnlich, wie es auch aus dem Text vom letzten Mal hervorgeht.
Buber will einen geistesgeschichtlichen Weg (26) aufzeigen und zwar einen menschheitsgeschichtlichen und analog dazu einen persönlichen Entwicklungsweg von der sinnlichen Welt- bzw. Selbsterfassung in das bewusste Leben (26), d.h. in ein geistiges Erfassen.
Der Schluss ist also:
Aufgrund der real wirkenden Kraft in der Welt ist mir Welt- und Selbsterkenntnis möglich.

Liebe Gabi, Du stellst die Frage nach der Realität von Ich und Welt:
Ich denke, Buber reagiert auf den radikalen Zweifel von Descartes, ob die Welt da draußen wirklich sei oder nicht. Denn nur, dass ich denke ist ihm gewiss (cogito ergo sum).
Cognosco ergo sum sagt Buber ähnlich. Ich erkenne also bin ich:
Die Welt ist real, denn sie spricht mich an. Nur dadurch komme ich überhaupt erst zu mir. Ich werde am Du zum Ich.
Buber will sagen: entwicklungsgeschichtlich ist der Mensch aus seiner naturhaften Verbundenheit getreten und tauscht sie gegen die geistige Verbundenheit ein. Jetzt erst, zum Ich geworden, kann ich bewusst in Beziehung treten.


 Antworten

 Beitrag melden
23.05.2023 12:04
avatar  Gaby
#3
avatar

Vielen Dank, liebe Esther - das hilft mir weiter. Damit kann ich was anfangen . Liebe Gruesse


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!